Wir enthüllen die Geheimnisse von Mikroplastik, das von Reifen freigesetzt wird
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Wir enthüllen die Geheimnisse von Mikroplastik, das von Reifen freigesetzt wird

Oct 03, 2023

25. November 2022

von Sandrine Perroud, Eidgenössische Polytechnische Schule Lausanne

In der Schweiz sind Reifen- und Strassenabriebpartikel eine der größten Quellen für die Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt. Die in diesen Partikeln enthaltenen chemischen Verbindungen und ihre Auswirkungen bleiben jedoch weitgehend ein Rätsel. Um diese Wissenslücke zu schließen, führen Wissenschaftler der EPFL und zweier anderer Schweizer Forschungsinstitute eine Studie über die Toxizität von Reifenpartikelverbindungen und wie leicht sie von lebenden Organismen aufgenommen werden. Die erste Phase der Studie ist gerade abgeschlossen.

Die im April 2020 gestartete Studie wird von einem Konsortium führender Reifenhersteller gesponsert. Die beiden weiteren Forschungsinstitute, die mit der EPFL zusammenarbeiten, sind das Schweizerische Zentrum für Angewandte Ökotoxikologie (Ecotox-Zentrum), das das Projekt koordiniert, und die Eidgenössische Wasseranstalt (Eawag). Die erste Phase endete mit der Veröffentlichung zweier Artikel in Environmental Science & Technology (Ende November 2021 und Ende Oktober 2022). Thibault Masset, Postdoktorand am CEL, ist der Hauptautor beider Arbeiten. Diese Artikel befassen sich speziell mit der Solubilisierung und Bioverfügbarkeit von Reifenpartikelverbindungen im Verdauungssystem von Regenbogenforellen.

Zur Durchführung ihrer Forschung nutzten die Wissenschaftler einen innovativen In-vitro-Ansatz, der auf simulierten Magen- und Darmflüssigkeiten basiert. Sie analysierten elf Verbindungen und fanden heraus, dass die Solubilisierungsrate in Magen-Darm-Flüssigkeiten zwischen 0,06 % und 44,1 % liegt und dass diese Rate je nachdem, ob Nahrung mitverzehrt wird, variieren kann.

Eine besondere Verbindung, die sie untersuchten, war 6PPD-Chinon (6PPD-Q), ein toxisches Nebenprodukt der Oxidation von 6PPD – einem in der Reifenindustrie weit verbreiteten Antioxidans. Wenn Reifenpartikel, die 6PPD-Q enthalten, zusammen mit Amphipoden aufgenommen werden, wird die im Fischdarm gelöste Verbindung erhöht. Bei anderen chemischen Verbindungen hat die Kogestion jedoch den gegenteiligen Effekt. Weitere Experimente zur Bewertung der Toxizität vieler anderer Reifenpartikelsubstanzen sind im Gange.

„Diese Verbindungen sind komplizierter als Standardpolymere wie Polystyrol und PET – und es gibt wahrscheinlich Hunderte davon“, sagt Florian Breider, Leiter des Zentralen Umweltlabors (CEL) der EPFL und korrespondierender Autor der beiden Artikel.

„Der Großteil der Forschung konzentriert sich heute auf die Mikroplastikverschmutzung durch Verpackungen und Abfälle, aber Mikroplastik aus Reifen macht 30–40 % der Plastikverschmutzung in der Umwelt aus. Daher lohnt es sich, auch diese Art von Verschmutzung zu untersuchen.“

Das ultimative Ziel der Studie ist die Bestimmung der Bioverfügbarkeit, Bioakkumulation und Toxizität von Reifen-Partikel-Verbindungen und zugehörigen Zusatzstoffen. Nachdem Phase 1 nun abgeschlossen ist, beginnen die Wissenschaftler mit Phase 2, in der untersucht wird, wie die Verbindungen in der Nahrungskette weitergegeben werden – beispielsweise von der Insektenlarve bis zur Regenbogenforelle.

Die Wissenschaftler planen außerdem, die Nebenprodukte der Reifenpartikel-Verbindungen zu untersuchen und zu untersuchen, wie sich die Verbindungen im Laufe der Zeit zersetzen. Ein Beispiel ist 6PPD-Q, das entsteht, wenn 6PPD (das der Gummimischung bei der Reifenherstellung zugesetzt wird) mit O2 und O3 in der Umgebung in Kontakt kommt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2021, die in „Science“ erschien, war 6PPD-Q der Auslöser für akute Lachssterblichkeitsereignisse in der Elliott Bay in Seattle. „Reifenhersteller müssen ihre Produkte ganzheitlicher betrachten und die Instabilität einiger der von ihnen verwendeten Chemikalien berücksichtigen“, sagt Breider. „Diese Chemikalien können sich zersetzen und unbeabsichtigte Nebenprodukte bilden, die manchmal giftig sind.“

Ein am 23. September 2022 veröffentlichter Schweizer Bundesbericht zu Kunststoffen in der Umwelt kommt zu dem Schluss, dass der Reifen- und Straßenverschleiß eine der Hauptursachen für die Mikroplastikverschmutzung im Land ist. Die dabei entstehenden Partikel bestehen zu 60 % aus Gummi, zu 30 % aus Ruß und zu 10 % aus Schwermetallen. Jährlich entstehen in der Schweiz über 13.500 Tonnen dieser Partikel, davon gelangen rund 8.900 Tonnen in unsere Luft, in den Boden und ins Wasser.

Eine 2018 in TrAC Trends in Analytical Chemistry veröffentlichte EPFL-Studie zeigte, dass der Reifen- und Straßenverschleiß schätzungsweise bis zu 61 % des Mikroplastiks ausmacht, das in den Genfersee gelangt. Wissenschaftler wissen noch nicht genau, welche chemischen Verbindungen in diesen Partikeln enthalten sind und welche Folgen dies haben könnte.

Mehr Informationen: Thibault Masset et al., Bioaccessibility of Organic Compounds Associated with Tire Particles Using a Fish In Vitro Digestive Model: Solubilization Kinetics and Effects of Food Cogestion, Environmental Science & Technology (2022). DOI: 10.1021/acs.est.2c04291

Thibault Masset et al., In-vitro-Verdauung von Reifenpartikeln in einem Fischmodell (Oncorhynchus mykiss): Solubilisierungskinetik von Schwermetallen und Auswirkungen der Nahrungsaufnahme, Umweltwissenschaft und -technologie (2021). DOI: 10.1021/acs.est.1c04385

Julien Boucher et al, (Mikro-)Kunststoffflüsse und -bestände im Genferseebecken, TrAC Trends in Analytical Chemistry (2018). DOI: 10.1016/j.trac.2018.11.037

Zeitschrifteninformationen:Umweltwissenschaft und -technologie

Zur Verfügung gestellt von der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne

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